Vorsicht vor "erkauftem" Vertrauen deines Pferdes

Wir gehen mit unseren Pferden spazieren, plötzlich taucht ein Radfahrer hinter uns auf, was mich dazu veranlasst meine Pferde anzusprechen und an den Rand des Weges zu führen, um den Radfahrer passieren zu lassen. Das prompte Reagieren und geduldige Warten meiner Vierbeiner honoriere ich mit Keksen. Nicht selten kommentieren weise Menschen mein Handling mit Sätzen wie "Na, klappt das auch ohne Futter?" oder "Ach, mit Futter kann das jeder!"

Dass ich ein nettes "Dankeschön!" als angemessener empfunden hätte, denke ich mir in solchen Situationen. Zu viele solcher Situationen habe ich erlebt, als dass ich mich hierüber noch ärgern würde. 

Vergangenes Wochenende berichtete mir eine Kundin folgendes Erlebnis, was ich zum Anlass nehme, einmal einige Zeilen zum Thema "erkauftes Vertrauen" im Tiertraining zu schreiben. 

Motiviert, die Jungstute ihrer Tochter an verschiedene Alltagssituationen zu gewöhnen, besuchten Mutter, Tochter und Stute eine Pferdeveranstaltung. Ziel war es, die Stute mit verschiedenen Situationen bekannt zu machen und deren Gelassenheit zu fördern. Hierzu näherten sich die Drei einer Situation, markierten und belohnten das ruhige Verhalten der Stute. Die Reize und Distanzen zu Diesen wurden so gewählt, dass das Pferd stets ansprechbar bleiben, ruhig schauen, sich umorientieren und fressen konnte. Alles richtig gemacht?

Na ja, wenn wir ehrlich sind haben die beiden das Vertrauen des Fluchttieres mittels Leckerli lediglich erkauft. Das gezeigte Vertrauen kann also nicht als RICHTIGES Vertrauen betrachtet werden. So zumindest die beharrliche Meinung eines Beobachters der Situation, welcher seine fachkundige Meinung selbstverständlich auch kundtun musste. Die Tochter meiner Kundin war daraufhin ziemlich verunsichert und verletzt. Sollte sie das Vertrauen der Stute tatsächlich bloß erkauft haben? Was hieße das für die Beziehung zwischen ihr und dem Tier und wie sollte es jetzt weitergehen? Zweifel am eigenen Training kamen auf.

Meinungen anderer Menschen

Ich erlebe es häufig, dass andere Menschen der Meinung sind, ungefragt ihre mehr oder minder kompetenten Urteile oder Einschätzungen kundtun zu müssen. Nicht selten in einer unsachlichen und beleidigenden Art und Weise. Wenn diese unsachlichen Scheinargumente, welche im besten Fall auf gefährlichem HALBwissen beruhen, auf einen Menschen treffen, der neu in das positive Training eingestiegen ist, somit noch am Anfang steht und demnach noch nicht auf unzählige Aha-Momente und Erfolgserlebnisse schauen kann, können Zweifel geschürt werden. 

Eine weitere Kundin, die ich über das Onlinetraining begleite, berichtete neulich, dass sie sich nicht traut ihre Konikstute in den Mengen zu belohnen, die ich empfehle (für JEDES gut ausgeführte, erwünschte Verhalten). Warum nicht? Weil die Stallkameraden ihr Training als völlig unsinnig betrachten und das dicke Pony sowieso nicht so viel fressen soll. Einige Runden durchs Roundpen scheuchen wären hier viel sinnvoller, als ständig Kekse ins Pferd zu stopfen.

Mich als Trainerin stimmen solche Situationen nachdenklich. So kann ich zum Einen die verbreitete "Ich antworte mal auf deine NICHT GESTELLTE Frage, weil ich ein selbsternannter Pferdefachmann bin!"-Moral nicht nachvollziehen, zum Anderen stelle ich zunehmend fest, dass sich der Fachverstand eines solchen "Pferdefachmanns" meist umgekehrt proportional zum Mitteilungsbedürfnis verhält. 

Was ist eigentlich dieses Vertrauen?

Zurück zur anfänglichen Überlegung - sollten wir vorsichtig sein mit "erkauftem" Vertrauen unserer Pferde?

Dazu sollten wir zunächst einmal VERTRAUEN definieren.

Von US-amerikanische Psychologe Julian B. Rotter (1916–2014) wird Vertrauen "...als die Erwartung einer Person beschrieben, sich auf die Aussagen anderer Individuen oder Gruppen verlassen zu können. Dabei wird zwischen generalisiertem und spezifischem Vertrauen unterschieden. Spezifisches Vertrauen bezieht sich auf Erfahrungen mit konkreten Situationen oder Personen, während generalisiertes Vertrauen sich über die Zeit aufbaut, indem Erfahrungen in verschiedenen Kontexten sich zu verallgemeinerten Erwartungshaltungen in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit von Personen oder Sachverhalten aggregieren " (Quelle)

Stellen wir also den Zusammenhang zu meiner eingangs beschriebenen Situation der Stute auf der Pferdeveranstaltung her.

Das Tier wird so trainiert, dass ein unangenehmer Außenreiz (Traktoren, Knallgeräusche, umherfliegende Knistertüten, ...) zu einer zuverlässigen Ankündigung für Futter beim Menschen wird. Wird das Training also so aufgebaut, dass der Reiz immer nur so groß ist, dass die Stute noch ansprechbar sein kann, werden die auftretenden Reize des Alltags hier mit einer sehr hohen Quote zuverlässig mit Futter verknüpft. Traktor heißt perspektivisch also "Stehen und ansprechbar bleiben, Futter beim Menschen abholen". Noch dazu verknüpfen wir bei einer solchen Vorgehensweise den zunächst unangenehmen Reiz "Traktor" mit einer angenehmen Emotion, was den unangenehmen Reiz perspektivisch weniger unangenehm machen wird.

Erfüllt dieses Vorgehen also den Tatbestand von echtem Vertrauen? 

In meiner Welt schon! Warum? Weil wir genau das geschafft haben, was Rotter so schön definiert hat - wir haben eine ERWARTUNG beim Pferd geschaffen. Die Erwartung, dass schon x Mal vorher der gruselige Traktor Futter angekündigt hat. Warum sollte das heute also anders sein? Das Pferd VERTRAUT der Situation, weil es sich in der Vergangenheit immer gelohnt hat und immer zuverlässig Futter gereicht wurde. 

Aber das Pferd bleibt ja dann nur für das Futter stehen und nicht, weil es MIR vertraut!

Kurz und knapp - ja, genau. So ist es wohl. 

Meine Pferde haben die Erfahrung gemacht, dass jeder Gruselfaktor auf dem Spaziergang Kekse ankündigt. Sie orientieren sich demzufolge sofort zu mir und warten in höflicher Position auf ihr Futter. Das Stehen und Höflich sein kann man hier als Alternativverhalten zum panisch Weglaufen sehen. 

Doch vertrauen meine Pferde wirklich MIR? Wie würden sie sich verhalten, wenn ich eine wildfremde Person neben sie stellen würde? Sie würden sich exakt genau so verhalten, als würde ICH neben ihnen stehen. Warum? Weil die Situation verknüpft wird. Traktor = Futter vom Menschen, der neben mir läuft. Würde ich also 5m vor meinem Pferd laufen, während eine andere Person am Führstrick hängt, wäre nicht davon auszugehen, dass mein Pferd zu mir gelaufen kommt, wenn der Traktor auftaucht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass mein Pferd das beschriebene Alternativverhalten zeigt, was viele Male zuvor lohnend in eben solch einer Situation gewesen ist. Sprich: Mein Pferd würde sich zum Menschen am Führstrick orientieren. 

Das Ganze funktioniert genau so lange, wie der fremde Mensch sich auch wie vom Pferd erwartet verhält. Taucht der Traktor auf und es wird z.B. am Strick gezogen, kein Futter ausgegeben, ... - wird auch das erlernte Verhalten "stehen bleiben, ansprechbar sein, Futter abholen" gelöscht werden und der Fluchtmechanismus als zielführender betrachtet werden.

Bist du also immer noch der Meinung, dass dein Pferd allein DIR vertrauen sollte, leidest du entweder an Selbstüberschätzung oder aber an einem vermindertem Selbstwertgefühl und hoffst, dass dieses durch das "Vertrauen" deines Pferdes in dich gestärkt werden kann. In beiden Fällen rate ich zu psychologischer Hilfe!

Was heißt Vertrauen für dich?

Vertraust du deinem Pferd? In welcher Situation, wirst du nun wissen wollen. Genau das ist auch eine relevante Frage. Bist du schon 25 Mal mit deinem Pferd durch das nächste Dorf spaziert, vorbei an Fahrrädern, Traktoren, fahrenden Autos und spielenden Kindern - 20 Mal davon waren unkompliziert und entspannt, wirst du deinem Pferd in eben beschriebener Situation "vertrauen". Warum? Weil du eben schon 20 von 25 Mal die Erfahrung gemacht hast, dass dein Pferd beim Spaziergang durchs Dorf keinen Nervenzusammenbruch erleidet und kopflos reagiert. 

So geht es auch deinem Pferd. Hat dein Pferd den überwiegenden Teil eurer Spaziergänge die Erfahrung gemacht, dass es sich immer lohnt ruhig bei dir zu bleiben (wir nehmen an, du hast die Distanzen und Zumutbarkeit der aufgetretenen Reize für dein Pferd immer richtig eingeschätzt), wird es Vertrauen in die "Dorfsituation" entwickeln und perspektivisch sind auch kleinere Distanzen zu gruseligen Reizen möglich.

Würdest du deinem Pferd in Situationen vertrauen, denen es bisher noch nie ausgesetzt war? Würdest du zum Beispiel vertrauensvoll mit deinem Pferd bei (ich übertreibe ein wenig, um dir zu verdeutlichen, worauf ich hinaus möchte) Orkanböen, im Dunkeln allein durch den Wald reiten? Die drohende Lebensgefahr für euch beide, lassen wir hier mal außer Acht!  Wahrscheinlich nicht. Warum nicht? Weil du dich mit deinem Pferd noch nie in vergleichbaren Situationen befunden hast und nicht einschätzen kannst, wie dein Pferd reagieren wird. Du vertraust ihm hier also genau so wenig, wie dein Pferd dir in völlig unbekannten Situationen vertraut.

Vertrauen ist also nichts Persönliches, es hat nichts mit "ich mag dich" oder "ich akzeptiere dich" zu tun. Vertrauen ist einfach die Summe an Erfahrungen in sich ähnelnden Situationen.

Gute Nachrichten...

Natürlich kann dein Pferd deutlich schneller Vertrauen in unbekannten Situationen fassen, wenn du dich immer gleich verhältst. Hast du also bereits etliche Situationen mit deinem Pferd trainiert, wird dein Pferd das Konzept von "stehen und ansprechbar bleiben, wenn es komisch wird" deutlich schneller abrufen können und du kannst die Lorbeeren deines geduldigen Trainings ernten. Die einzelnen Trainingsschritte müssen im Verlauf also nicht mehr so kleinschrittig wie zu Beginn gestaltet werden. Ein gutes Gelassenheitstraining ist somit ein Sparbuch der Gelassenheit und eine Lebensversicherung in einem. 

Die Alternative zu Futter

Menschen, die Futter im Training ablehnen mit dem Argument, man würde sich damit das Vertrauen des Tieres erkaufen, haben häufig ein signifikantes Wissensdefizit bezüglich der Lerntheorie. So fehlt ihnen meist das Wissen darüber wie ein erwünschtes Verhalten aufgebaut werden und bestehen bleiben kann. Das mannigfaltige Tool der positiven Verstärkung ist ihnen fremd und es scheint deutlich einfacher ein unerwünschtes Verhalten durch massiven Druck zu dämpfen, als sich auf ein erwünschtes Verhalten zu fokussieren. So bedarf es nur einem Bruchteil an Wissen, um Ziele scheinbar zu erreichen. Möchte man fernab von Zwangsmaßnahmen erfolgreich trainieren und das Vertrauen seines Pferdes aufbauen, führt kein Weg an der positiven Verstärkung vorbei. Diese funktioniert allerdings ausschließlich unter Verwendung von primären Verstärkern. Ein primärer Verstärker wirkt über die Befriedigung angeborener Bedürfnisse. Da Futter ein stetiges elementares Bedürfnis für Pferde darstellt, gibt es keine Alternative zum Futterlob. Sicher wirkt in der Fliegenzeit auch ein "an der richtigen Stelle Kratzen" primär verstärkend, jedoch erfüllt die mangelnde Umsetzbarkeit, das ungünstige Timing, der ungünstige Belohnungpunkt, das Wagnis, ob heute diese Stelle die Richtige ist und wie häufig diese Stelle tatsächlich gut tut gekratzt zu werden, den Tatbestand von "nicht zielführend". Auf der sicheren Seite ist man als Trainer oder engagierter Pferdemensch, wenn man sich für Futter als primäre Verstärkung entscheidet.

Vorteile von Futter

  • unproblematisch vorzubereiten
  • stets griffbereit
  • sehr hohe primäre Belohnungswirkung
  • somit deutlich weniger Übungswiederholungen nötig
  • hohe Wiederholungsrate möglich (ein Pferd frisst fast immer, Kratzen ist meist nicht 100x hintereinander belohnend)
  • gut dosierbar in der differenzierten Verstärkung (wenig vs. viel)
  • sehr gut einsetzbar in verschiedenen Qualitäten (Möhre vs. Heucob)
  • gut einsetzbar, um Positionen positiv zu belegen 
  • kann gleichzeitig gegenkonditionierend wirken (positive Gefühle werden mit den Übungen verknüpft)
  • ...

social media

Wieviele Videos namenhafter Trainer kursieren auf verschiedensten social media Kanälen, in denen Trainer einem Pferd "Vertrauen" beibringen wollen?! Neulich sah ich bei Instagram ein gruseliges Video von Frau Röckener, in dem zu sehen war, wie ein Pferd die Angst vor dem Hänger verliert und scheinbar ruhig daran vorbeigeführt werden konnte. Das Pferd befand sich an Halfter und Strick, welchen Frau Röckener in der Hand hielt. Das Pferd zeigte Meideverhalten und versuchte während des erzwungenen Annäherns an den Hänger die Distanz zu vergrößern. Dieses Vorhaben wurde jedoch direkt unterbrochen mittels Strickreißen und dem Drohen mit der Gerte in senkrechter Position vor dem Pferdekopf. (Die Angst vor der Gerte ist übrigens eine erlernte Angst. Heißt, das Pferd hat schon mehrfach unangenehme Erfahrungen mit der Gerte gemacht, sodass nun das Drohen allein genügt, um Angst auszulösen) Im späteren Verlauf des Videos reitet Frau Röckener besagtes Pferd, welches "Ungehorsam" in Form von Scheuen unter dem Sattel zeigt - dies wird jedoch unmittelbar durch massives  Reißen am Zügel unterbrochen. Eine weitere Sequenz zeigt das Pferd, welches in letzter Konsequenz Ansätze des Steigens zeigt. Auch Das wird mittels massivem Strickzerren und dem Einsatz der Gerte vehement unterbunden. Schließlich werden Bilder gezeigt, die demonstrieren sollen, dass Frau Röckener weiß was sie tut - so weicht der Schimmel nun nicht mehr von der Seite der Trainerin. Wie kommt das zu Stande? Vertrauen? Funktioniert Training so? Erfüllt dieses Vorgehen überhaupt die Maßgaben des Begriffs Training? 

Ein solches Vorgehen hat rein gar nichts mit Vertrauen in beschriebene Situationen zu tun.

 

Stellen wir doch einmal einen Vergleich an. Ein Kind hat Angst vor dem Weihnachtsmann - es möchte sich nicht nähern und zieht an der Hand der Mutter weg vom gruseligen roten Mann. Wie würde Vertrauen in die Situation aufgebaut werden können? Indem ich das Kind gegen dessen Willen Richtung Weihnachtsmann zerre unter (Androhung von) Schlägen und anderen unangenehmen Reizen? Wohl kaum. Sicher würde das Kind irgendwann und nach genügend Drangsalieren auf dem Schoß des Weihnachtsmannes sitzen, aber hätte dies wirklich etwas mit Vertrauen zu tun? Säße das Kind gerne dort? Würde es beim nächsten Mal tatsächlich gern zum Weihnachtsmann gehen? NEIN! Und das ist entscheidend - die Mutter müsste immer wieder ein so großes Maß an unangenehmen Reizen anwenden und dem Kind den Rückzug unmöglich machen, dass das Kind sich auf den Weg zum Weihnachtsmann machen würde,  aber zu welchem Preis? Ich denke unter einem solchen Video bei Instagram würden nicht hunderte Beifallsbekundungen stehen, wie unter dem Video von Frau Röckener. 

Weiterführend ist hier auch besser einzuordnen, wenn Menschen (insbesondere zahlreiche Kinder), die "sich nicht richtig durchsetzen können" Ratschläge wie "Setzt dich mal durch!" erhalten. Vertrauen hat eben rein gar nichts mit Durchsetzen zu tun. Pferde latschen natürlich deutlich schneller und mit einem Minimum an Aufwand in gruseligen Situationen neben deren Menschen her, wenn man nur genügend Utensilien verwendet ein Pferd gefügig zu machen.

Die wahre Kunst jedoch, Vertrauen seines Pferdes in seine Umwelt mit ihren zahlreichen potentiellen Gruselquellen zu schaffen, liegt in kleinschrittigem, gut durchdachtem Training. So ist es möglich, dass ich, zahlreiche kompetente Trainerkollegen und engagierte Kunden mit einem einfachen Kopfhalfter am Pferd spazieren gehen können. Ohne Gerte und ohne Gebiss!

Fazit

Vertrauen kann man weder kaufen, noch erzwingen. Vertrauen entsteht aufgrund zahlreicher positiver Erfahrungen und ist weder etwas Persönliches, noch hat es Etwas mit Autorität und Akzeptanz zu tun. Wer das verstanden hat, dem steht die Welt mit seinem Pferd offen, weil alles körperlich Mögliche eine Frage des richtigen Trainings ist. "Gewalt hat ihren Ursprung dort, wo Wissen aufhört und Verzweiflung ihren Anfang nimmt. “ (Dr. Ute Blaschke-Berthold)

 

 

 

In diesem Sinne wünsche ich euch frohes Füttern.

 

eure Nadine von Pferd (H)und Mensch

 

 

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