Würdest DU im nächsten Leben mit DEINEM Pferd tauschen

Pferde - zweifelsohne sehr anmutige Wesen, äußerst elegant und für so  manch menschliche Seele mit heilender Wirkung. Sie wirken stolz und kraftvoll. So ist es nicht verwunderlich, dass sich manche Menschen für den Kauf eines so edlen Tieres entscheiden - nicht zuletzt, damit ein wenig vom Sternenstaub der Pferde an ihnen selbst haften bleibt. 

Der Reitsport gehört zum Elitesport. So wirkt es leider wenig imposant, dem  eigenen verschwitzten Kind am Rand des örtlichen Fußballfeldes zu zujubeln und sich in der Halbzeitpause Gedanken darüber zu machen, wie man die Grasflecken aus dem Trikot herauswaschen soll oder ob die eingepackte Pflastergröße für die triefenden Knie des Sprösslings ausreichen wird.

Reitet der verwöhnte Sproß im feinen Zwirn jedoch das EIGENE edle Ross ins Viereck - nun ja, was soll ich schreiben - die Außenwirkung ist sicher eine andere, um es vorsichtig zu formulieren.

An dieser Stelle möchte ich natürlich nicht alle Pferdemenschen über einen Kamm scheren, jedoch fällt auf, dass der hohe Pferdesport in der Mehrheit exakt darauf abzielt - nachhaltig zu beeindrucken und das oftmals ohne Rücksicht auf Verluste.

 

Vorbilder sind zum Nachahmen gemacht 

Als ich noch ein Kind war (das muss mindestens 100 Jahre her sein), faszinierten mich Reitsportpgrößen wie Isabell Werth, Ludger Beerbaum und Co.

Da ich mich schon immer gern von Tieren umgeben wusste, lag das "Reiten gehen" auf der Hand. Also Mutti genervt und schon saß ich mit 6 Jahren auf dem ersten Pony. Später besuchte ich die "Reitgruppe der Fortgeschrittenen", noch später übernahm ich so manche Reitbeteiligung. Von Kindesbeinen an lernte ich das Geschehen in allerhand Ställen kennen. Ich wusste, dass man ein Pferd ordentlich sichern musste (am besten links und rechts am Halfter, damit sich das Pferd auch auf keinen Fall kratzen kann, wenn eine Fliege nervt), ich wusste auch, dass man sich durchsetzen muss, wenn Black Beauty nicht bereit war den Huf zum Auskratzen zu geben - ein kleiner Schlag gegen den Oberarm des Pferdes sollte Abhilfe schaffen bei widerspenstigen Exemplaren. Ich wusste, dass der Sattelgurt schön straff gezogen werden musste und ich wusste, dass Pferdememmen beim Satteln am besten durch Anschreien und gegen die Nase schlagen, davon abgehalten werden mussten, mich zu beißen beim Versuch den Sattel richtig zu positionieren. Auch, dass Pferde nicht berechtigt sind, MEINE Putzbox zu inspizieren, habe ich früh gelernt. Alle Stallkinder wussten diese Dinge - wir hatten die Aktion-Reaktion-Logik schon früh von den Erwachsenen erklärt bekommen.

Das Reiten fand ich toll. Es machte mir Spaß. Ich fühlte mich meinen großen Idolen ganz nah und war stolz meinen Eltern zeigen zu können, dass ich schon allein galoppieren konnte. Das konnte schließlich nicht jeder! 

 

"Du sollst nicht schlagen!"

Kindererziehung unterliegt in unserer westlichen Welt einigen Normen, die maßgeblich für die soziale Anpassungsfähigkeit unserer Kinder sind. So ist es für Eltern ein frühes Anliegen, den süßen Kleinen beizubringen, dass andere Kinder nicht geschlagen werden. Auch treten und beißen steht bei den meisten Eltern eher auf der Liste "lieber nicht". Ebenso Haustiere wie Hamster, Katze und Hund werden nicht "gehauen". So kann man auf der Bank am Rande des Kinderspielplatzes Zeuge so mancher erzieherischen Ermahnung werden - "Emil, der kleine Hund wird nicht gehauen! Mach fein ei, ei!!!"

Wir halten fest, das Prinzip der Goldenen Regel "Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg' auch keinem andern zu!" wird von der Mehrheit der Eltern an den Nachwuchs weitergegeben. 

Ausnahme Pferdestall

So weit so gut. Wäre da nicht das störrische Pferd. Oft scheint es, als wären die Reitanlagen dieser Welt eine Zone, in der die Verhaltensregeln der zivilisierten Gesellschaft völlig legitimiert außer Kraft gesetzt werden. Hier ist es Kindern sehr wohl erlaubt - nein vielmehr, wird hier erwartet, dass Pferde zur Raison gerufen werden - wenn es sein muss mit Schlägen, Schreien oder anderen furchtbar anzuschauenden Dingen. Es sei schließlich unverantwortlich, einem 600kg Tier den eignen Willen zu lassen. Viel zu gefährlich für alle Beteiligten! 

Kindern wird von Beginn an beigebracht, dass man nur ordentlich am Strick reißen muss, dass Pferde angeschrien werden dürfen und müssen, dass Ungehorsam gestraft gehört. So ein Hieb auf die Flanke wirkt mit einer hübsch dekorierten Kindergerte auch sehr viel weniger tierschutzrelevant. 

Metallstangen in Pferdemäulern, Metallspitzen an den Stiefeln, fest verschallte Lederriemen an Pferdeköpfen und gestresste Pferdegesichter, Kotwasser, Koliken, Magengeschwüre und stereotype Verhaltensweisen von Pferden prägen das normale Bild in leider viel zu vielen Reitbetrieben. Dieses Bild  eines Pferdes wird bei den Kindern (auch laaaaaange Zeit bei mir) als Normalzustand abgespeichert und nicht (mehr) hinterfragt. Auch meine großen Idole ritten (und ich denke, das tun sie bis heute) damals mit allerhand Foltermaterial. Es war für mich normal, dass ein Pferd, das nicht "funktionierte" in die Seite getreten und mit der Gerte dazu gebracht wurde, wieder "in der Spur" zu laufen. 

 

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr! Wirklich?

Aus den Kindern werden Erwachsene. Oftmals Erwachsene, die das über Jahrzehnte gelebte Verhalten im Zusammensein mit unseren Pferden unreflektiert fortführen. Gemäß dem Motto "Das haben wir schon immer so gemacht!" oder "Stress, ach mein Gott - den hab ich auch! Das ist nun einmal so im Leben." schließt sich hier der Teufelskreis, denn das eigene "Wissen", wie man mit Pferden umgeht, was Pferde können, was Pferde dürfen, wer Pferde sind und wie man sie beherrscht, wird an die nächste Generation weitergegeben. 

Erfreulicher Weise gibt es immer mehr Pferdemenschen, die sich trauen, das eigene Handeln zu hinterfragen, zu reflektieren, zu überdenken und zu verändern. Hierfür ist viel Engagement nötig - ohne Frage. Alles über den Haufen zu werfen und neu zu ordnen macht Angst. Alte Strukturen zu verlassen und plötzlich planlos zu sein, fühlt sich an wie Laufen im Treibsand. 

Auch ich habe Pferde mittels Gerte geschlagen, mit Sporen traktiert, angeschrien und fest verzurrt. Als Kind ahmte ich, mit meinem armen Haflinger Kaspar in der Hauptrolle, alle Monty Roberts Techniken nach. Schließlich wusste der schöne Robert Redford wie man Pferde erzieht!

Aber es ist ein Umdenken möglich, jeden Tag! Der Schlüssel ist, wie so oft, der Zugang zu fundiertem Wissen, die Bereitschaft etwas ändern zu wollen, Empathie gegenüber unserer Pferde entwickeln zu können und zu wollen und alles was wir tun immer wieder kritisch zu hinterfragen. 

Für mich hat die Einstellung "Ich mache das so, weil das so richtig ist!" keinen Wert. Vielmehr schätze ich Ansätze, die das eigene Handeln immer wieder auf dessen Sinnhaftigkeit, Wirkung und ethische Vertretbarkeit beleuchten. 

 

Würdest du mit deinem Pferd tauschen wollen?

Zurück also zu meiner Eingangsfrage - "Würdest du mit deinem Pferd tauschen wollen?"

Beschränken wir uns ausschließlich auf die Bedingungen für dein Pferd während der gemeinsamen Zeit mit dir. Haltung, Fütterung und Co. lassen wir hierbei also zunächst komplett außer Acht (hierzu schreibe ich gern einen weiteren Beitrag). 

Versetze dich in die Position deines Pferdes. Du wirst aus der Box geholt (möglicher Weise standest du als Lauftier den ganzen Tag in deiner Box - es ist ja schließlich Winter!), das Halfter wird dir über den Kopf gezogen. Heute hast du Ohrenschmerzen? Stell dich mal nicht so an und gibt endlich den Kopf her! Du wirst die Stallgasse herunter geführt. Dass das Rutschen auf dem Betonboden durch deine Eisen deinen Rückenschmerzen nicht zuträglich ist wird ignoriert. Festgebunden wartest du bis dein Mensch nach dem halbstündigen Gespräch mit der Stallfreundin endlich mit der Putzbox bei dir eintrifft. Unterdessen wurdest du von anderen Pferdemenschen, die sich mit deren Pferden an dir vorbeiquetschen wollten, mehrfach unsanft zur Seite geschoben. Der Metallstriegel trifft auf deinen geschundenen Rücken. Autsch! Die ersten beiden Autschs hältst du aus, den Dritten quittierst du mit einem Schnappen nach deinem Menschen. "Ehhhhhhj, du spinnst wohl?!" dröhnt es an dein Ohr. Das Putzen ist beendet und der Sattel wird auf deinen Rücken geworfen. Das Schlimmste ist der Sattelgurt. Du bist tapfer und hältst die Strapazen aus. 

Das Reittraining beginnt. Dein Mensch mit 80kg wuchtet sich auf deinen Rücken. Gut, Yoga ist schon ein bisschen her - das Aufsitzen gelang früher ein wenig sanfter, aber stell dich nicht so an!

Jetzt hat dein Mensch doch glatt seinen hübschen Schlagstock vergessen - gut, dass die beste Stallfreundin einen Ersatz parat hat. Im Schritt Marsch - das geht noch. Der Trab ist an der Reihe. Dein Mensch plumpst in den Sattel und versucht die eigene Balance herzustellen, indem er am Zügel ein wenig Halt findet. Die 4kg auf deinem Kiefer - kein Problem. Die Zungenquetschung ist jedoch echt schmerzhaft. 

Der Galopp auf dem viel zu engen Zirkel will dir nicht gelingen. Du hast das Gefühl umzufallen und versuchst einfach schnell zu traben. Vielleicht genügt das deinem Menschen. Ne - Galopp ist Galopp! Patsch, der erste Hieb mit dem Stock auf deine Flanke...

 

UND - WÜRDEST DU TAUSCHEN WOLLEN?

Die Lösung des Dilemmas

... Training

Pferde lernen - wie Hunde, Menschen und andere Lebewesen am besten über Belohnung. Die Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhalten, das wir gern wieder sehen möchten, kann allein durch ein zuverlässiges Belohnen um ein Vielfaches erhöht werden. Pferde sind durch sinnvolles Training sehr schnell zu motivieren. Belohnte Verhalten werden so gern gezeigt, dass man sich eher Gedanken darum machen muss, eine ordentliche Signalkontrolle zu etablieren. Hier müssen wir unserem Pferd also beibringen den fliegenden Galoppwechsel eben nicht immer zu zeigen, sondern nur, wenn diesem ein Signal vorausgegangen ist. 

Die gesamte klassische Reiterei lässt sich über die positive Verstärkung erarbeiten. Und das sogar komplett ohne Kraft und Schweiß des Reiters! Ein Gewinn für beide Seiten also.

... Schrecksituation

Meiner Meinung nach sollten wir uns viel mehr in Pferde hineinversetzen. Die Welt mit ihren Augen sehen - so können wir in mancher "ich sehe Gespenster in dieser Ecke"-Situation um ein Vielfaches angemessener und zielführender reagieren.

... im Stall

Ein Pferd ist ein eigenständiges Wesen mit einer eigenen Meinung und eigenen Bedürfnissen. Dass der Huf nicht gegeben werden möchte, das Pferd schnappt beim Satteln oder den Boxennachbarn anfeindet, gegen die Boxenwand tritt, wenn es Futter gibt oder andere Verhalten zeigt, die wir als Menschen auf die Liste "nervige Verhalten" setzen, hat einen GRUND!!!!!!!! Pferde zeigen Verhalten NIEMALS im luftleeren Raum. Es führen IMMER innere und/ oder äußere Umstände zu einem Verhalten. Stört dich ein Verhalten, bist du in der Pflicht genau diese Umstände auszumachen und wenn möglich zu beheben. 

... Sprache Pferd

Wenn Pferde in den Arenen dieser Welt vorgeführt werden, ihnen der Sabber aus dem verkrampften Maul tropft, die Augen zu kleinen faltigen Dreiecken mutieren, die Nüstern beben und die Schweifrüben angehoben werden - dann heißt es wieder "Manege frei für die Tierquälerei!"

Leider nimmt in sämtlichen Abzeichen, Prüfungen und Co. das Ausdrucksverhalten des Pferdes keinen Platz ein. Es war zu keinem Zeitpunkt meiner klassisches Reitausbildung Bestandteil, einschätzen zu können, wie es ums Wohlbefinden eines Pferdes bestellt ist. Ich denke, diese riesige Lücke in der Ausbildung von Pferdemenschen jeglicher Art muss unbedingt geschlossen werden. 

 

Dich interessieren die Hintergründe von Training über die 4 Lernquadranten? Dann lies gern hier mehr darüber.

Fazit

Pferde sind wundervolle Tiere - wie Hunde und Katzen. Sie müssen weder angeschrien, geschlagen oder anderweitig malträtiert werden. Gerten, Sporen und andere Geräte, die einzig und allein zum Ziel haben Schmerzen zu zufügen, haben im Umgang mit Pferden NICHTS verloren.

Pferde sind Fluchttiere, sie ängstigen sich vor so mancher, für uns Menschen unverständlichen, Situation. Druck und Gewalt bringen niemals Erfolge und verschlimmern jegliche Situationen.. Vielmehr ist Empathie und sinnvolles Training frei von negativen Reizen zielführend. Horsemanship und andere negativ verstärkend wirkende Methoden, die das Pferd zu einer Marionette seiner Ängste macht, haben im Umgang mit unseren Pferden nichts verloren. Pferde brauchen nicht viel um glücklich, entspannt und gesund zu sein. Ein Herzensmensch, mit dem man eine tolle gemeinsame Zeit ohne übersteigerten Leistungsdruck erleben kann, ist ein guter Anfang!

 

In diesem Sinne wünsche ich dir, dass du die Frage, ob du guten Gewissens mit deinem Pferd die Plätze tauschen würdest, ohne Zögern mit "na klar!" beantworten kannst. 

 

 

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