wie du dein Pferd am besten trainierst

Es gibt schier unendlich viele Trainingswege, Ansätze und Theorien im Pferdetraining (im Tiertraining allgemein). Jeder Pferdebesitzer, Stallbetreiber, jede Reitbeteiligung und jedes Reiterkind vertritt seine ganz eigene Meinung zum Thema "optimales Training" des eigenen oder des ihm anvertrauten Pferdes. Kaum ein Thema spaltet die Pferdewelt so sehr wie der Weg des optimalen Trainings. Es gibt unzählige Meinungen, Herangehensweisen und Sichtweisen. Wie soll man hier den optimalen Weg für sich und sein Pferd finden? Und gibt es DEN einen optimalen Weg, der auf alle Pferde gleichermaßen anzuwenden vermag?

 

eine gute Nachricht zu Beginn

Es gibt gar nicht unendlich viele Trainingswege - es gibt genau 2, wenn wir uns auf den VerhaltensAUFbau konzentrieren!  Aus 2 Trainingwegen einen optimalen Trainingsweg heraus zu filtern dürfte machbar sein, oder?

 

die 2 Trainingswege 

Sicher bist auch du schon einmal über Begriffe wie "positive Verstärkung" oder "negative Verstärkung" gestolpert. Doch was genau verbirgt sich dahinter? Wo liegt der Unterschied und welche Vor- und Nachteile bringen beide Wege mit sich? 

 

Doch beginnen wir zunächst einmal mit der Definition der 2 Trainingswege.

 

1. die negative Verstärkung 

Wenn wir uns über die negative Verstärkung Gedanken machen befinden wir uns im VerhaltensAUFbau. Wir verstärken also ein Verhalten, welches wir gern öfter sehen möchten. Zum Beispiel den Galoppwechsel, das zügige auf den Hänger gehen, das mühelose Hufe geben und halten oder das Stehen bleiben beim Aufsteigen. Um ein Verhalten verstärken zu können müssen wir also eine sehr passende und bedürfnisorientierte Belohnung zur Verfügung stellen. Eine Belohnung, die das Pferd als so hochwertig empfindet, dass es das gewünschte Verhalten perspektivisch öfter und zuverlässiger zeigt. 

Auf Grundlage der negativen Verstärkung muss zunächst einmal ein unangenehmer Reiz gesetzt werden, um diesen folglich bei erfolgreicher Verhaltensausführung wieder weichen lassen zu können. Negative Verstärkung beschreibt also eine Verhaltensverstärkung mittels Entzug eines unangenehmen Reizes. So wie das mathematische Minuszeichen zeigt hier das Wort "negativ" also einen Abzug an. Den Abzug des unangenehmen Reizes. 

Die einzige Motivation eines Pferdes, welches über negative Verstärkung gearbeitet wird ist also, dem unangenehmen Reiz so schnell wie möglich zu entkommen. Der Galoppwechsel wird also perspektivisch schneller und flüssiger gezeigt, damit der Gertenschlag, der Sporenhieb, der Schenkeldruck o.ä. umgangen werden kann oder schneller nachlässt. An dieser Stelle geht die negative Verstärkung fließend in die positive Strafe über (dem Strafen von unerwünschtem Verhalten durch das Einsetzen eines aversiven Reizes).

Was sind nun eigentlich unangenehme Reize fürs Pferd? Klar der Sporenhieb, der Schlag mit der Gerte oder der ewige Zug am Strick sind wohl Reize, denen nahezu jeder Pferdemensch eine unangenehme Wirkung fürs Pferd zugesteht. Doch wie sieht es mit Drücken, Rempeln und in die Seite piecken aus? Irgendwie normal im Pferdestall, oder? Was das Pferd über die negative Verstärkung lernt ist ein Verhalten schneller zu zeigen, um einem negativen Reiz zu entgehen oder diesen schneller abschwächen zu können. Die zugrunde liegende Emotion des Pferdes ist also Erleichterung

 

1.1 ein Beispiel aus dem Alltag (geklaut von der wunderbaren Nina Steigerwald)

Wir fahren mit dem Auto und sind nicht angeschnallt. Nach 20m ertönt ein Piepen, welches uns daran erinnern soll, dass dem gurtigen Teil neben unserer Schulter eine Funktion angedacht wurde. Wir ignorieren das nervige Piepen und fahren unbeeindruckt weiter. Nach weiteren 50m Fahrt rutscht das Piepen eine Oktave höher und ertönt schon fast penetrant oft. Wie lang halten wir dieses nervtötende Geräusch aus? Wahrscheinlich nicht allzu lang. Wir beugen uns und schnallen uns an. Ziel erreicht - Verhalten "Anschnallen" erfolgreich ausgeführt. Ist doch prima oder?

Doch warum haben wir uns letztendlich angeschnallt? (Die Vernunft - Autounfälle, schwere Verletzungen, ... lassen wir hier einmal außer Acht)

Der Gurthalter klickte, als es zu nervig wurde, zu unerträglich. Wir haben höchst wahrscheinlich nicht gedacht "Toll, dass ich mich anschnallen kann, darauf habe ich mich schon den ganzen Tag gefreut!" sondern eher "Oooooohhhh dieses nervige Geräusch!!!" - wir sind erleichtert, wenn das Piepen aufhört. 

Steigen wir das nächste Mal ins Auto ein schnallen wir uns sicher zügiger an, da wir wissen, dass das Piepen ertönen wird und dass es nicht eher aufhören wird, bevor wir uns nicht angeschnallt haben.

 

Natürlich gibt es unterschiedlich starke unangenehme Reize für unser Pferd. Ein Gertenschlag ist sicher unangenehmer als ein Piecken mit einem Finger in die Seite, wenn das Pferd doch nur mal schnell zur Seite rutschen soll, oder dem Druck auf dem Genick, damit das Pferd den Kopf senkt. ABER es bleiben alles Reize, die UNANGENEHM für unsere Pferde sind und denen sie schnell entkommen möchten. Wäre das nicht der Fall würde ein Pferd durch das Piecken nicht zur Seite treten und auch nicht schneller laufen nach einem Gertenschlag! 

 

1.2 Horsemanship - klassischer Vertreter der negativen Verstärkung

Die Pferdewelt wandelt sich Stück für Stück. Der Gedanke der pferdegerechten Ausbildung, der Wunsch nach einem verlässlichen Partner wird größer und die Menschen suchen Trainer, die pferdegerecht arbeiten. Geworben wird mit Slogan wie "Freiarbeit - eine Verbindung zwischen Mensch und Pferd". Werbevideos zeigen Pferde, die deren Menschen folgen, sich zu Boden legen und liegen bleiben, Pferde, die auf einen Fingerzeig die Hinterhand schwenken oder abrupt die Richtung wechseln. Ich gebe zu - sehr eindrucksvoll.

Doch schaut man einmal genauer hin, schaut man einmal in die Gesichter der Pferde und hinterfragt die scheinbar pferdefreundlichen Methoden fällt einem auf, dass zahlreiche Trainer den Weg über die negative Verstärkung suchen. 

 

Eine persönliche Beobachtung - Ich besuchte im vergangenen Jahr die Partner Pferd in Leipzig. Hier stellte sich auch eine renommierte Horsemanshiptrainerin vor. Die Pferde bewegten sich ohne Halfter und Strick in der Manege, zeigten das Kompliment, Seitengänge aller Art, Steigen und das Trommeln mit einem Vorderhuf auf einem Podest. Für den unbedarften Zuschauer eine tolle Show - freie Pferde, die mitarbeiten müssen doch Spaß an der Arbeit mit dem Menschen haben, oder?

Schaute man genauer hin, fiel einem auf, dass die Pferde wenig Freude ausstrahlten. Die geblähten Nüstern, die angestrengten Adern im Gesicht, das ständige Schweifschlagen, die ohne Unterbrechung angelegten Ohren und die ein oder andere Drohgeste in Richtung ihres Menschen verrieten den wahren Gefühlszustand der Tiere. 

 

Ich schieße nicht gegen das Horsemanship - ich möchte lediglich einladen, einmal genauer hinzusehen, zu hinterfragen und zu reflektieren. 

 

Gern erkläre ich dir die Arbeitsweise des natural horsemanships. Der Gedanke ist simpel - das Pferd soll den Menschen als ranghöher akzeptieren, ihm folgen und seinen Kommandos ungefragt Folge leisten.

Schon an dieser Stelle steht die Wissenschaft dagegen. Ein Mensch wird niemals über oder unter einem Pferd stehen. Der Gedanke einer Rangfolge zwischen Pferd und Mensch ist biologisch schier falsch. Eine Rangordnung besteht ausschließlich zwischen Individuen einer Art, welche in einer festen Gruppe zusammenleben. Selbst, wenn du also 24/7 mit deinem Pferd zusammen auf der Koppel stehst, wird sich zu keinem Zeitpunk und egal was du unternimmst, eine Rangordnung zwischen dir und deinem Pferd herausbilden. Warum? Weil ihr zwei Individuen zweier Arten seid! Ein Mensch und ein Pferd eben. 

Ein Pferd und ein Mensch können genauso wenig eine Rangordnung erleben wie es eine Katze mit einer Giraffe oder ein Nashorn mit einer Riesenboa erleben können.

Doch wie gelingt es nun durch Horsemanship, dass sich Pferde durch Fingerzeig lenken lassen wie durch Zauberhand? 

 

Ich erkläre es dir am Beispiel des "Folgens":

Definiertes Ziel: Das Pferd soll dem Menschen folgen, wo hin und wie schnell er sich auch bewegt.

 

Trainingsaufbau:

- Pferd und Mensch stehen in einem Roundpen (Pferd hat also keine Chance zu flüchten)

- Option 1: Pferd orientiert sich am Menschen und läuft diesem hinterher - Hallo Pferdeflüsterer, alle freuen sich, Jubel, wir sind begeistert

- Option 2: Pferd orientiert sich nicht am Menschen und folgt diesem auch nicht: Jetzt wird es interessant!

- Mensch scheucht Pferd quer durch den Roundpen

- Pferd bleibt stehen, Mensch bleibt stehen

- Pferd schaut zum Menschen, Mensch wendet sich ab und wirkt einladend dank schlaffer Körperhaltung 

- Option a) Pferd kommt zum Menschen und folgt diesem (s.o.)

- Option b) Pferd wendet Blick wieder weg vom Menschen

- Mensch scheucht Pferd erneut durch den Roundpen bis irgendwann Option a) eintritt 

 

Was denkt der Mensch: 

- ich bin stärker als das Pferd

- das Pferd hat eingesehen, dass ich der Chef bin

 

Was denkt das Pferd:

- es ist sehr unangenehm und stressend durch den Roundpen gescheucht zu werden

- am stressfreisten war es, als ich den Menschen angeschaut habe 

- noch stressfreier war es, als ich dem Menschen gefolgt bin, das mache ich jetzt öfter

 

Was wir als Pferd vermutlich denken würden:

- genau das Gleiche wie das Pferd in unserem Beispiel

 

Warum, weil wir Lebewesen eben so gestrickt sind - hin zum Guten (stressfrei), weg vom Schlechten (stressig).

 

Das gehorsemanshipte Pferd folgt seinem Menschen nun also überall hin, das ist doch prima. Ziel erreicht, oder?

Ja, wenn man ausschließlich Wert auf das DAS und nicht auf das WIE legt, schon. Zweifelsohne. Ist es einem aber wichtig, WARUM und WIE ein Pferd ein Verhalten zeigt ist dies nicht der Weg, den man wählen sollte. 

 

Ganz nebenbei bemerkt - ich arbeite überwiegend über die positive Verstärkung und mein Pferd folgt mir überall hin (manchmal ein wenig zu sehr "überall hin"). Nicht, weil es dies muss, sondern, weil es sich immer gelohnt hat mit mir zu arbeiten. 

 

1.3 ich arbeite zwar über das Horsemanship, aber belohne trotzdem mit Leckerlis

Oftmals höre ich in Gesprächen mit Pferdemenschen, dass sie zwar über Horsemanship arbeiten, aber nicht den ganz harten Weg verfolgen, sondern ebenso auch mit Leckerlis arbeiten. 

Das finde ich super - hier seid ihr schon einmal auf dem richtigen Weg. Jetzt lasst einfach das Horsemanship weg und ihr erhaltet das Pferd das WIRKLICH gern mit euch arbeitet. 

 

Wenn ich möchte, dass mein Kind ein Stück zur Seite rutscht, weil ich an die Besteckschublade möchte, könnte ich

--> nett fragen (oder es mit einem Gummibärchen zur Seite locken) und dann belohnen, wenn es tatsächlich rutscht (positive Verstärkung)

--> es in die Seite kneifen und dann mit einem Gummibärchen belohnen, wenn es rutscht (positive + negative Verstärkung oder Horsemanship plus Leckerli)

--> es zur Seite schieben, wenn es nicht rutscht werde ich massiver und stoße es zur Seite. Als Belohnung, dass mein Kind gerutscht ist höre ich eben auf es zu

       Stoßen (negative Verstärkung)

 

In allen drei Fällen ist mein Kind zur Seite gerutscht, aber mit welcher Option werden wir noch einen schönen und harmonischen Abend verbringen?

 

1.4 Vor- und Nachteile der negativen Verstärkung 

Als Vorteil lässt sich festhalten, dass ein definiertes Zielverhalten (zur Seite treten in der Stallgasse auf Signal) über die negative Verstärkung oftmals schneller erreicht werden kann, was so viele Menschen vermutlich diesen Trainingsweg wählen lässt. Ein Verhalten über die positive Verstärkung aufzubauen erfordert oftmals mehr Zeit, Geduld, know how und Leckerlis. 

 

Als Nachteil sehe ich die Wirkung auf das Pferd, gerade wenn, wie eben angeführt, nicht nur das DAS sondern auch das WIE für den Menschen relevant erscheint. 

Mein Pferd sollte die verrückten Dinge, die ich als Mensch gern sehen möchte (kein Pferd der Welt benötigt ein Kompliment oder einen Galoppwechsel) gern mitmachen sollen und nicht, weil es sonst keinen anderen Ausweg aus einer Situation sieht.

Das Pferd verliert jegliche Selbstwirksamkeit und Mitspracherecht. Es zeigt nur das, was es zeigen MUSS. Negativ verstärkte Pferde bieten selten Verhalten von selbst an, da sich dies nie gelohnt hat. Im besten Fall für den Menschen, findet sich das betreffende Pferd mit seinem Schicksal ab und latscht ein Leben lang brav neben seinem Menschen her. Im schlechtesten Fall wehrt sich das Pferd und kann nur noch mit einem Maximum an Druck und Zwang kontrolliert werden. Spätestens an dieser Stelle wird es ebenso für den Menschen gefährlich.

 

1.5 die Angst des Menschen

Oftmals sehe ich mich und mein Training kritischen Stimmen ausgesetzt und es kommt zum Austausch. Ich hinterfrage die Motivation der Menschen, welche sich ganz bewusst gegen die positive Verstärkung entscheiden.  

 

Eine der häufigsten Argumente ist die Angst, als Mensch nur noch als Futterautomat zu fungieren. Begleitet wird die Argumentation häufig von Sätzen wie "Das muss der auch ohne Futter zeigen, weil er mich gern mag."

Hier muss man ganz klar festhalten - dies ist sehr menschlich gedacht. Ich habe noch kein Pferd erlebt (und ich umgebe mich seit dem 6. Lebensjahr mit den felligen Langohren), welches einem anderen Pferd einen Apfel überlässt, damit sich das andere Pferd freut. 

Menschen beschenken sich gegenseitig oder sagen nette Worte, um anderen Menschen eine Freude zu bereiten. Bei keinem Pferd habe ich so etwas je beobachtet. 

 

JEDES Verhalten hat eine Funktion. Menschen gehen zur Arbeit, um Geld zu verdienen, anderen zu helfen, als Ausgleich, weil ihnen sonst die Decke auf den Kopf fällt, oder aus welchen Motivationen auch immer. Das "zur Arbeit gehen" hat immer auch eine Funktion. Fällt diese Funktion weg (Job ab sofort ehrenamtlich) wird auch das Verhalten gelöscht.

Belohne ich ein Pferd jedes Mal für das Anstupsen einer Targetscheibe (und wir gehen davon aus, dass das Anstupsen der Targetscheibe für das Pferd nicht intrinsisch (seiner selbst Willen) motiviert ist), wird es dieses Verhalten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit öfter und zuverlässiger zeigen. 

Belohne ich dieses Verhalten nun jedoch nicht mehr, wird das Verhalten wieder weniger werden bis es irgendwann gar nicht mehr auftritt. Das Pferd zeigt das Anstupsen der Targetscheibe also ausschließlich, weil es sich bisher gelohnt hat (weil Futter gereicht wurde).

 

So sehr wir unsere Pferde auch schätzen, ein Pferd wird von uns gewollte Verhalten nicht zeigen, weil wir uns so sehr darüber freuen würden. Auch, wenn es uns ab und an so vorkommen mag, wenn das Pferd zum Beispiel beherzt an den Ball in der Ecke der Halle tritt. Aber dieses Verhalten haben wir sicher in der Vergangenheit auch oft belohnt. Hier sprechen wir in der Fachsprache von matching law - es ist also weder Zauberei noch, um uns eine Freude zu bereiten.

 

2. die positive Verstärkung 

Die positive Verstärkung basiert auf dem Hinzufügen eines angenehmen Reizes, einer angenehmen Konsequenz. Im Pferdetraining ist diese Konsequenz oftmals Futter. Ein definiertes Verhalten wird über ein Trainingssystem wie beispielsweise das Locken, das Shapen oder Einfangen produziert. So kann ich ein Pferd beispielsweise mittels Futter auf eine Matte locken, um es im Anschluss hierfür zu belohnen (mittels Futter). 

Das Pferd betritt bei sinnvollem Trainingsaufbau die Matte also immer prompter & zuverlässiger und erhält JEDES Mal Futter in Abhängigkeit zur Kriteriumerfüllung. 

Es ist für das Pferd also sehr lohnend, die Matte zu betreten, da es nur hier Futter erhält. Warum sollte das Pferd also nicht auf die Matte treten?

 

Am Beispiel des Folgens:

- mein Pferd läuft neben mir

- ich belohne mein Pferd in dieser Position

- ich laufe schneller - mein Pferd folgt (Warum? Weil es gelernt hat, dass neben mir ein sehr lohender Ort ist)

- ich belohne mein Pferd während ich schneller laufe

- ich beginne zu joggen - mein Pferd folgt mir (Warum? Weil es gelernt hat, dass neben mir ein sehr lohender Ort ist)

 

So macht Freiarbeit wirklich Spaß, denn das Pferd zirkelt gern um den Menschen herum, weil es gelernt hat, dass sich dieses Verhalten in der Vergangenheit immer gelohnt hat. Warum also nicht um den Menschen laufen?

 

2.1 die Macht der Futterpunkt

Stell dir vor, dass jemand zu dir sagt: "Blume" (das Wort ist egal, mir ist gerade kein anderes Wort eingefallen) und dir unmittelbar danach 50€ vor die Füße legt. Du bückst dich und hebst sie auf. 

Es folgen 20 Wiederholungen, in denen jemand zu dir "Blume" sagt und unmittelbar danach 50€ vor deine Füße legt (ein tolles Spiel, oder?)

Erneut erklingt es "Blume" - Was tust du? Dich bücken? Warum? Weil 21 Mal vorher nach "Blume" 50€ vor deinen Füßen lagen.

 

An diesem Beispiel möchte ich dir zeigen, dass mit der Wahl deines Futterpunktes Verhalten manchmal ganz automatisch und ohne viel Mühe aufgebaut werden können, einfach weil Reize verknüpft werden. Wenn du das Pferd fürs Stehen bleiben immer aus deiner Futterhand an seiner Brust belohnst, wird es nach einigen Wiederholungen sehr wahrscheinlich ein schönes Stehen mit tiefem Kopf zeigen.

 

Die Macht der Futterpunkte ist ein winziger Teil der positiven Verstärkung und doch so wirkungsvoll und nützlich. 

 

2.2 Vor- und Nachteile der positiven Verstärkung

Die positive Verstärkung hat zahlreiche Vorteile. Die Pferde erhalten ein Mitspracherecht, eine Selbstbestimmung. Sie können NEIN sagen und dies sollte für uns Menschen eine sehr wichtige Information werden. Wenn ein Pferd nein sagt hat es Gründe! Diese sind nicht selten körperlicher Natur (verspannter Rücken, zu viel Ablenkung, Hunger, ...). Wenn es einem Pferdemenschen gelingt die "Dominanztheorie" zu begraben, ist es ihm möglich zu zu hören und gezielt und WIRKLICH zielorientiert zu arbeiten. 

Ein weiterer Vorteil der positiven Verstärkung liegt in der Motivation der Pferde. So werden Trainingsgeräte aller Art ohne Probleme und Ängste betreten, weil sich dies eben zum einen immer gelohnt hat und zum anderen Zwang NIEMALS die Konsequenz für nicht betreten war. Das Pferd konnte somit immer frei entscheiden, ob es dem Verhaltensangebot des Menschen Folge leistet oder eben nicht. Das Ziel eines guten Trainers ist es immer, die Motivation des Pferdes mit kleinen Trainingsschritten so hoch zu halten, dass ein Pferd nur sehr selten nein sagt. 

Vorteilhaft sehe ich auch die Kooperation des Pferdes mit dem Menschen, die feine Kommunikation beider sowie das echte Vertrauen zwischen Mensch und Pferd.

 

Ein Pferd, dass gelernt hat durch einen Vorhang zu laufen, weil es dafür Kekse gibt, wird perspektivisch sicher, mit großem Körpergefühl und völlig unaufgeregt durch einen Vorhang laufen. Ein Pferd, welches durch den Vorhang gescheucht wurde, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch perspektivisch nicht mutig, sicher und vertrauensvoll durch einen Vorhang laufen, auch wenn es am Ende des Weges einen Alibikeks bekommen hat.

 

Nachteilig ist auf jeden Fall das große Potenzial zum Futterbetteln. So ist bei der positiven Verstärkung mit Futter extrem darauf zu achten, dass von Beginn an eine gewisse Höflichkeit vom Pferd eingehalten wird. Futter gibt es eben nicht, wenn das Pferd mit dem Maul in der Tasche hängt, sondern nur dann, wenn der Kopf gerade vor der Brust steht. Verliert man diesen Fokus nicht aus den Augen hat man auch perspektivisch kein Problem mit einem unhöflichen, bettelnden Pferd. 

Einen weiteren Nachteil stellt für mich bei der positiven Verstärkung der Fakt dar, dass ein wenig mehr Zeit, gut durchdachte Trainingspläne und know how, um auf Eventualitäten reagieren zu können von Nöten sind, wenn man zielorientiert und sinnvoll über die positive Verstärkung arbeiten möchte. Hier ist es ratsam sich durch gute Bücher und/oder gut ausgebildete Trainer weiterzubilden. 

 

Fazit

Auch wenn es so scheint, als würde es etliche wählbare Trainingswege geben, so gibt es letztendlich doch nur zwei, wenn wir über den VerhaltensAUFbau nachdenken. Die Vorteile der positiven Verstärkung überwiegen für mich und meine Trainingserfahrung mit Pferden aller Art, denn nur hier ist es dem Pferd möglich mitzusprechen. Wenn Pferde schon die eigenartigen Dinge, die unseren menschlichen Köpfen entspringen, mitmachen sollen, wäre es dann nicht fair, sie hätten wenigstens Spaß daran? Pferde sind weder Spielzeug noch dazu da, um ausschließlich UNS Freude zu bereiten. 

Beleuchte und hinterfrage stets Trainingsansätze, die von zahlreichen "Pferdeprofis" angeraten werden auf deren Sinnhaftigkeit. Versetze dich in die Lage des Pferdes und reflektiere die Fairness deines Handelns.

Auch, wenn deine Trainingswege bisher vielleicht unfair deinem Pferd gegenüber waren und auf Druck und Zwang basierten - jeder Tag ist ein neuer Anfang!

 

Denn "Unser Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung wechseln kann."

Francis Picabia (1879-1953)

 

In diesem Sinne alles Gute

 

eure Nadine Keune von Pferd (H)und Mensch